Vom Recht auf Erziehung zur Dienstleistung
18.07.2016
Ein vorgesehener Paradigmenwechsel der Jugendhilfe kehrt unter anderem dem Grundgesetz den Rücken. Eine Kommentierung des Bundesvorsitzenden des DBSH, Michael Leinenbach, zur Diskussion der Modifizierung/Veränderung des SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz).
Über vieles wird derzeit geredet – nichts Genaues weiß man. Jedoch lässt das, was aus den „Hinterzimmern“ des Berliner Politikpokers zu hören ist, nichts Gutes ahnen. Eine weitere „Heilige Kuh“ soll geschlachtet werden - „ das Kinder- und Jugendhilfegesetz und die Ansprüche, die sich daraus ableiten“. Schon oft war zu hören, dass die Kosten der Kinder- und Jugendhilfe zu hoch, die Mitarbeiter_innen zu teuer und die Maßnahmen unangebracht seien. Gründe genug das bestehende Gesetzt abzuändern. Da boten gerade auch die Ratifizierungen der UN-Kinderrechts- und UN-Behindertenrechtskonvention, welche die Bundesregierung vornahm, einen guten Einstieg für die Hardliner, das eher „ungeliebte“ Kinder- und Jugendhilfegesetz, dessen Ausrichtung das Recht auf Erziehung, Elternverantwortung und einer aktiven Jugendhilfe war und ist, zugunsten eines „Dienstleistungsgesetzes“ zu verändern.
Blicken wir jedoch zunächst einmal zurück. Die Mütter und Väter des bisherigen SGB VIII (KJHG) konnten mit Stolz den damaligen Wechsel aus der Jugendwohlfahrt und dem Jugendwohlfahrtsgesetz hin zu einem modernen, auf das Recht auf Erziehung, Elternverantwortung und einer aktiven Jugendhilfe ausgerichteten Kinder- und Jugendhilfegesetz blicken. Mit einigen wenigen Änderungen hat sich das Kinder- und Jugendhilfegesetz, mit seiner auf unter anderem Partizipation ausgerichteten Haltung, im Laufe der Jahre bewährt. Gleichzeitig gelang es dem aktuellen Gesetz, sich hervorragend in das Grundgesetz sowie dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) einzufinden. So konnte das im Grundgesetz in Artikel 6 festgelegte Recht auf Erziehung unter anderem im Satz 2 „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft “sowie im Satz 3 „Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“ umgesetzt werden. Gleichsam wurden im SGB VIII (KJHG), unter anderem durch die Jugendhilfeplanung, die Partizipation bzw. die Mitwirkung der Kinder und Jugendlichen in den Hilfe- bzw. Unterstützungsprozessen festgeschrieben.
Weitere Grundlagen sind bereits im Bürgerlichen Gesetzbucht (BGB), unter dem Paragraf 1631 „Inhalt und Grenzen der Personensorge“ festgelegt. So weist der Paragraf 1631 im Satz 1 „Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen“ auf die besondere Verpflichtung der elterlichen Sorge hin. Im Satz 2 „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“ wurden bereits die Rechte der Kinder unter anderem auf die Erziehung festgeschrieben. In Paragraf 1666 BGB „Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ wird im Satz 1 geschrieben: „Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind“. Dies zeigt die Grenze auf, ab wann die staatliche Gemeinschaft in das Elternrecht einzugreifen hat.
Die gesetzlichen Verankerungen der Rechte des Kindes auf Erziehung sowie der Eltern zu erziehen, kann daher nicht durch ein Dienstleistungsgesetz ersetzt werden. Blickt man ins Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), so definiert dieses Leistungen: „Bei der Leistung handelt es sich um einen Begriff aus dem Zivilrecht. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wird er jedoch mit verschiedenen Bedeutungsinhalten verwendet, weswegen die Leistung im schuldrechtlichen Sinne von der im bereicherungsrechtlichen Sinne abzugrenzen ist.“ (vgl. Jura Forum).
Wird eine psychologische Definition von Leistung herangezogen, so heißt es bei Hacker 1998: „In einem allgemeinen, mehr physikalischen Sinne ist Leistung eine in einer bestimmten Zeit(einheit) erbrachte Arbeit und stellt das sichtbare Ergebnis bei der Bewältigung einer Aufgabe dar. Dabei sind vom Einzelnen Energien aufzuwenden, und es wird das Vorhandensein psychophysischer Merkmale vorausgesetzt. "Leistungsvoraussetzungen" bezeichnet die Gesamtheit der körperlichen und geistigen Bedingungen habitueller und aktueller Art, die zum Erfüllen von Aufgaben eingesetzt werden können.“ [1]
Betrachtet man weitere Bereiche, so wird Leistung im Finanzbereich unter anderem wie folgt definiert: „Durch Kombination von Produktionsfaktoren (nach Gutenberg) erzeugter Output, gemessen in Leistungs- bzw. Produktionseinheiten.“[2]
Es könnten nun noch viele weitere Definitionen herangezogen werden, die jedoch alle immer wieder aufzeigen, dass der Begriff Leistung mit Arbeit, Produktion, Wachstum und einer Verpflichtung der Erreichung von vorgegebenen Zielen belegt ist.
Diese Ziele sind unvereinbar mit Grundlagen der Erziehung und Sozialisation, welche als feste Begriffe bereits im Grundgesetz sowie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgeschrieben sind.
An dieser Stelle hilft es den Akteuren, die einen Paradigmenwechsel einleiten wollen, auch nicht weiter, dass sie die UN-Kinderechtskonvention mit in die Begründung einbringen. Diese spricht auch mehrheitlich von Rechten der Kinder und der Begriff der Leistung wird in der Übersetzung nur im Bereich der „Sozialen Sicherheit“ verwendet. Denn es geht unter anderem um die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse, wie im Artikel 26 „Soziale Sicherheit“ zu finden. Die Aufnahme der Kinderrechte als gesonderten Artikel ins Grundgesetz kann an dieser Stelle nur begrüßt werden. Dann müssten die Rechte und nicht die Dienstleistung im Vordergrund stehen.
Auch das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006“ (Behindertenrechtskonvention) stellt die Rechte und nicht die Leistungen in den Vordergrund. Zwar werden im Übereinkommen auch entsprechende Leistungen definiert, jedoch beziehen sich diese direkt auf Dienstleistungen, Gewährleitungen sowie Gesundheitsleistungen.
Es muss daher abschließend festgestellt werden, dass es nicht haltbar ist, das bestehende Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), dessen eigenster Auftrag entsprechend Paragraf 1 „Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe“, zu einem Dienstleistungsgesetz zu degradieren. Dort ist folgendes Verankert:
„(1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
Das Ziel des zu erwartenden Dienstleistungsgesetzes ist ein weiterer Leistungsabbau staatlicherseits, wie bereits in anderen Teilen der Sozialgesetzgebung geschehen. Diesen Rückschritt kann die Profession „Soziale Arbeit“ nicht zulassen und muss daher alles ihr erdenkliche dafür tun, dies zu verhindern.
Mag ein Finanzminister seine „Schwarze Null“ als noch so bedeutend hervorheben, müssen wir ihm aufzeigen, dass er damit Menschen in Armut und Verzweiflung stürzt und die Gesellschaft weiter spaltet.
„Wir müssen die Akteure des angelsächsischen Kapitalismus enttarnen und ihnen die Maske herunter reißen, die sie mit falschen Interpretationen der UN Kinderrechtskonvention und der UN Behindertenrechtskonvention versuchen zu verbergen“.
[1] www.spektrum.de/lexikon/psychologie/leistung/8697
[2] www.finanzen.net/wirtschaftslexikon/Leistung
Autor: Michael Leinenbach